Kleines Lexikon der Design-Beziehung

Beratung, Design-Thinking, Designforschung, Forschung, Humor, Strategie, Text, Text, Visionsarbeit

Text von Erwin K. Bauer; erschienen in: Marc Damm, Im Auftrag von,… Edition Angewandte – Birkhäuser Verlag 2015.

Kooperation und Kollaboration haben auch das Verhältnis von Auftraggeber:innen und Gestalter:innen neu definiert. Das kurze Lexikon erzählt vom Selbstverständnis der DesignerInnen, ihrer eigenen Wahrnehmung und der des Gegenübers, von Rollen, Erwartungen und Dialog.

Ausgezeichnet

Dass Design-Awards zwar oft sehr viel kosten, dabei aber selten ein würdiges Preisgeld ausschütten, verwundert außerhalb der Design-Community so manchen. Geht hier das Ego mit den Designer:innen durch, der Drang nach Selbstbestätigung? Geht es darum, einmal auch als Dienstleister:in auf der großen Bühne stehen zu dürfen? Mittlerweile gibt es so viele Awards, dass es einen eigenen Kriterienkatalog bräuchte, um beurteilen zu können, welcher Preis welchen Wert hat – womit sich übrigens eine Diplomarbeit an der Universität für angewandte Kunst in der Klasse für Grafikdesign beschäftigt hat. Ein Student konzipierte und entwarf genau dafür einen Preis: den Award der Awards.

Beweis

Hinter der Motivation, Awards zu bekommen, steckt natürlich auch wirtschaftliche Vernunft. Schließlich besteht ein wesentlicher Teil des Wertes von Designpreisen heute in ihrer medialen Wirkung und Verbreitung in der Öffentlichkeit. Und der erschöpft sich nicht nur in der sportlichen Tatsache, sich etwa in den Reihen der besten GestalterInnen wiederzufinden. Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ist vielmehr zum fixen Bestandteil des Jobs geworden. Manche Auftraggeber:innen sehen darin auch einen Beweis für die Fähigkeit von Designer:innen, gezielt öffentliche Präsenz zu schaffen – etwas, das sie auch für ihre Projekte gerne beanspruchen.

Coop

Wird tatsächlich jemand auf eine/n Gestalter:in aufmerksam, könnte das der Anfang einer Beziehung sein. Denn jedes Auftragsverhältnis, in dem es um Kommunikation und ihre Gestaltung geht, bedeutet intensive (Zusammen-)Arbeit und damit eine Beziehung auf Zeit. Sie kann distanziert, amüsant, kurzweilig, nervtötend, beflügelnd, inspirierend, fordernd, fair oder unausgeglichen sein. Für das Gestaltungsergebnis ist es allerdings von Vorteil, wenn beide Seiten die Beziehung als ausgewogen wahrnehmen. Der Start einer Beziehung will aber gut überlegt sein, denn eine vorzeitige Trennung kann schmerzhaft sein.

Designbeziehung

Der Erfolg eines jeden Designprojekts hängt für beide Seiten von der Gestaltung der Beziehung ab. Das gegenseitige „Beschnuppern“ am Anfang ist dabei wichtiger, als angenommen wird. Für DesignerInnen ist die Verlockung, sofort in den Kreativprozess einzusteigen, oft sehr groß. Kaum wurde das Briefing überflogen, drängen sich schon die ersten Ideen auf, welche geniale Entwürfe sich umsetzen ließen. Manche Kund:innen setzen bewusst auf diesen unmittelbaren kreativen Trieb von Gestalter:innen, um rasch an die besten Ideen zu kommen. Das kann für das Projekt auch durchaus gewinnbringend sein, solange beide Seiten auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Doch von „Ideensammler:innen“, die am liebsten nur gustieren, anstatt sich auf eine ernsthafte Beziehung einzulassen, sollten die Finger gelassen werden.

Erwartungshaltung

Ob so eine Designbeziehung hält, was sie verspricht, hängt von den Erwartungen auf beiden Seiten ab. Zu Recht wünschen sich Auftraggeber:innen außergewöhnliche Ideen. Doch ist der/die Gestalter:in auch in der Lage, diese Ideen strategisch umzusetzen, das Projekt gut zu organisieren und bei engem Timing den Überblick zu bewahren? Die passenden Designer:innen zu finden, gestaltet sich deshalb nicht einfach, weil das Feld immer größer wird, die Selbstdarstellungen dabei zwar professioneller aber die Leistungen auch immer schwerer vergleichbar werden. Bei Kund:innen nachzufragen, die bereits mit dem jeweiligen Studio gearbeitet haben, ist hier ein guter Weg.

Fragen

Für Designer:innen stellt sich die Frage, ob Auftraggeber:innen vor allem dem Motto „Wer zahlt, schafft an!“ folgen, oder ob sie dem Gegenüber die Freiheit einräumen, tatsächlich Kreativität zu entfalten. Wenn Auftraggeber:innen mit Fragen anstatt mit halbfertigen Lösungen kommen, dann sind die Rollen in der Beziehung richtig verteilt. Ein Besuch bei Ärzt:innen dient ja auch nicht dazu, eine selbstgebastelten Diagnose kundzutun, sondern um professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Geschäftsbeziehung

Dass jemand mit Geschäftssinn nicht gleichzeitig auch ein guter Designer/eine gute Designerin sein könne, ist ein weitverbreiteter Irrtum, der das Klischee der genial-chaotischen Kreativen noch immer befeuert. Vielmehr untermauert die unternehmerische Kompetenz die kreative Leistungsfähigkeit. Sie zeigt schon im Erstgespräch, dass das Gegenüber nicht nur die Ideenfindung, sondern auch den Gesamtprozess bis zur Fertigstellung im Griff hat. Deshalb sollte in der Ausbildung diese Kompetenz auch stärker gefördert werden.

Haltung

Wenn soziales Engagement auf der Seite der Auftraggeber nicht grundsätzlich, sondern als medienwirksame Garnitur gedacht ist, durchschauen das nicht nur viele Designer:innen bereits beim Briefing, sondern auch das Publikum, also jene, mit denen das Unternehmen letztlich kommuniziert. Umgekehrt richtet sich die Frage nach der Haltung auch an Designer:innen: Welche Werte liegen der eigenen Designarbeit zugrunde? Wie wird der Erfolg des Entwurfs und später des Projekts gemessen? Welche neuen Formen kollaborativen oder interdisziplinären Arbeitens werden gewählt, um gemeinsam das Ziel zu erreichen? Es lohnt sich, diesen Fragen und einer gemeinsamen Position auf den Grund zu gehen.

Ich

Designer:innen sind oft in ihre Idee, in ihr „Baby“, verliebt. Unternehmen sind das auch. Qualität anzustreben und dafür zu kämpfen, macht Sinn, am besten gemeinsam. Das Beziehungsmotto „unsere Idee“ hat deutlich mehr Potenzial als „meine Idee“.

Jammern

Sich zu beschweren, falschen Auftraggeber:innen oder falsche Designer:innen zu haben, kostet nur Energie. Wechseln hilft (siehe Trennung).

Kommentarpflicht

Werden von KundInnen mehrere Gestalter:innen angesprochen, gilt es zu entscheiden, ob sich das Risiko der Investition in eine Präsentation lohnt. Die mittlerweile oft selbstverständlich geforderten Gratispräsentationen sind ein klares Zeichen für mangelnde Wertschätzung oder Kenntnis der Leistung. „Ich will ja nicht die Katze im Sack kaufen“, oder „Machen Sie zuerst einen Entwurf, sonst kann ich ja nicht sagen, ob es mir gefällt“ sind Statements, die Gestalter:innen am besten mit direkter Aufklärungsarbeit über ihre Expertise kommentieren.

Probefahrt

Oft wird die „Probefahrt“ bei Designer:innen auch aus Unwissenheit der Auftraggeber:innen über die Leistung gefordert. Zu erklären, welche Schritte von der Ideenentwicklung über die Analyse bis hin zur aussagekräftigen Präsentation notwendig sind, ist zugleich eine Chance für die Darstellung der eigenen Expertise. Nach so einem Gespräch ist dem Gegenüber meist klar, dass Designer:innen ihre genialen Ideen nicht etwa im Kaffeehaus auf die Serviette kritzeln oder per Knopfdruck aus dem Computer locken, sondern dass sie recherchieren, analysieren und vielfältige Aspekte einbeziehen, um dann zu einer oftmals einfachen aber schlüssigen Lösung zu kommen.

Risiko

Dass bei professioneller Auseinandersetzung mit einer Aufgabe schon die erste Präsentation einen Gutteil der Lösung – und oft auch der Arbeit – enthält, wird meist unterschätzt. Zu entscheiden, ob eine symbolische Entlohnung das Risiko, am Ende keinen Zuschlag zu bekommen, wert ist, liegt bei den DesignerInnen. Sie leben von der Attraktivität ihrer AuftraggeberInnen und ihrer Projekte. Sie leben davon, wie gut sich diese als Referenz darstellen lassen. Umschwärmte Auftraggeber:innen setzen das durchaus auch als preissenkendes Argument ein. Bleibt trotz allem zu bedenken, dass Miete und Equipment bezahlt werden wollen.

Trennung

Auch wenn die Begeisterung beim ersten Treffen groß ist, braucht es Regeln für den Abbruch einer Beziehung. Designer:innen lassen sich oft dazu hinreißen, immer neue Adaptionen zu machen, nur um zum Schluss das fertige Ergebnis in Händen zu halten. Das Gefühl, sein fertiges Designprodukt physisch angreifen zu können, ist für viele DesignerInnen unbeschreiblich und die weitaus größere Belohnung als die Bezahlung. Klare Regeln dafür, wer wie wieviel zustätzlich fordern darf, erhalten den Respekt voreinander und eine faire Beziehung. Dann kommt es selten zur Trennung, sondern zum sauberen Abschluss des Projekts.

Verständnis

Die Vision einer inhaltlichen bzw. unternehmerischen Idee ist ebenso wichtig wie die Fähigkeit des Gestalters/der Gestalterin, diese visuell und kommunikativ spürbar zu machen. Adjektive, die eine Idee im Vorfeld beschreiben, sind zwar rasch gefunden. Doch mit Worten wie „innovativ“, „einfach“ oder „dynamisch“ verbinden AuftraggeberInnen und Designer:innen unterschiedliche Vorstellungen. Diese verschiedenen Bilder in den Köpfen bereits zu Beginn abzugleichen, vermeidet einen der wichtigsten Konfliktherde – die kategorische Ablehnung eines späteren Entwurfs.

Weitblick

Mit ihrer Entdeckungslust, der permanenten Suche nach Neuem und der Sensibilität für aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen können Designer:innen immer einen Schritt voraus sein. Es reicht aber, in der Kommunikation einen halben Schritt voraus zu sein, um Menschen, die man ansprechen will, auch zu erreichen. Das gilt für Auftraggeber:innen und deren Kund:innen gleichermaßen.

Zukunft

Leidet die Beziehung, hat sie meist keine Zukunft. Manchmal ist das selbst dann der Fall, wenn man sorgfältige Beziehungsarbeit geleistet hat. Doch meine Erfahrung hat gezeigt, dass die Begeisterung, miteinander zu arbeiten und Ideen zu entwickeln anhält, selbst wenn die Beziehung nur als klassisches Auftragsverhältnis begonnen hat. Das liegt am unerschöpflichen Repertoire der Kreativität, neuer Techniken und Ideen für visionäre Designlösungen, die wir noch nicht kennen und schon morgen ganz sicher entwickeln werden.

Muh!